Sonntag, 26. August 2007

Geschichtsumdeutungen

Es war ja nur eine Frage der Zeit, bis die rot-roten Geschichtsumdeuter auch noch eines der letzten Kainsmale ihrer unseligen Beziehungen umdeuten würden. Heute ist es soweit: der SPD-nahe Parteienforscher Franz Walter darf auf Spiegel online unter dem Titel "Wie SPD und SED die DDR destabilisierten" endlich schreiben, wie segensreich das skandalöse "Konsenspapier" zwischen SPD und SED eigentlich gewesen sei.
Unter dem Titel "Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" hatten beide Parteien darin gemeinsame Vorstellungen für eine langfristige Zusammenarbeit entwickelt, die SPD attestierte der SED gar Reformfähigkeit.
Zur Erinnerung: Vor 20 Jahren - die Mauer sollte noch über zwei Jahre stehen, jährlich wurden Menschen an der innerdeutschen Grenze erschossen, verhaftet, tausende in politische Oprression gesteckt, Familien von Regimegegnern zerrissen, Menschen gefoltert, entmündigt und "zersetzt" - in jenem so friedlichen 27. August 1987 also formulieren westdeutsche Sozialdemokraten gemeinsam mit den kommunistischen Gesprächspartnern u.a. Folgendes:

Gemeinsame Sicherheit ist nicht zu erreichen, wenn ideologische Gegensätze in Formen ausgetragen werden, die zwischenstaatliche Beziehungen gefährden oder vergiften oder gar Machtkonflikte als unversöhnlichen und unausweichlichen Kampf zwischen Gut und Böse erscheinen lassen. Zur gemeinsamen Sicherheit gehört der Verzicht auf Versuche, sich unmittelbar in die praktische Politik in anderen Staaten einzumischen, aber auch der friedliche Wettbewerb der Systeme, ein Wettbewerb, der sich im Rahmen gemeinsam erarbeiteter Regeln hält und eine Kultur des politischen Streits und schließlich des kontroversen Dialogs einschließt. Dies entspricht der Politik einer Friedenssicherung, zu der sich SPD und SED bekannt haben.

Und dem verrottenden DDR-System säuselten Erhard Eppler und andere ins Ohr:

Gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen Ost und West zum beiderseitigen Nutzen fördert die notwendige Wende in den internationalen Beziehungen und dient der Entspannung in Europa. Das belegen nicht zuletzt die Erfahrungen der Entspannungsperiode in den 70er Jahren. Andererseits erweitern Fortschritte in der Entspannung zugleich die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zwischen den Staaten auf politischem, ökonomischem, wissenschaftlich-technischem, kulturellem und humanitärem Gebiet. Beide Gesellschaftssysteme brauchen diese Zusammenarbeit, weil die Verflechtung der Weltwirtschaft fortschreitet, die Entwicklung der Produktivkräfte den nationalen Rahmen sprengt und die globalen Probleme sich zuspitzen.

Oder, auch sehr hübsch:

Beide Seiten werden sich an ihren Leistungen und Erfolgen, ihren Fehlleistungen und Mißerfolgen messen lassen müssen. Kommunisten sind fest davon überzeugt, daß ihr Sozialismus seine inneren Vorzüge - Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit und Geborgenheit für alle, Teilnahme der Werktätigen an der Vorbereitung, Entscheidung und Kontrolle der staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Angelegenheiten, Verbindung des wissenschaftlich-technischen mit dem sozialen Fortschritt, Ausbildung und sicher Zukunft für die Jugend gegenüber der kapitalistischen Gesellschaft immer umfassender entfalten wird. Sozialdemokraten setzen - ohne die Gefahren kapitalistischen Wirtschaftens zu verkennen - darauf, daß freie, ungehinderte Diskussion, der Wettbewerb von Ideen und Lösungsansätzen am ehesten in der Lage ist, auf bedrängende neue Fragen angemessene Antworten zu finden, neue technische Möglichkeiten in den Dienst höherer Lebensqualität zu stellen, Gegenkräfte gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht zu mobilisieren, Mehrheiten für notwendige Veränderungen vorzubereiten und die Demokratisierung der Gesellschaft voranzutreiben. Da die Sozialdemokraten den Verfassungskonsens der westlichen Demokratie mittragen, auch wenn sie niemals die Verantwortung für andere, konkurrierende Kräfte übernehmen können, sprechen sie in vielen Kragen stellvertretend für die westliche Demokratie. Es wäre aber zu begrüßen, wenn andere politische Kräfte sich in ähnlicher Weise am kontroversen Dialog der Systeme beteiligten.

Na bitte - und wer wollte da heute, 20 Jahre später, dem klugen Professor Walter widersprechen, wenn er aalglatt feststellt:

(...) zu Kumpaneien, die später der SPD-Seite gern von Politikern der CDU/CSU unterstellt wurden, kam es nicht. Sozialdemokraten wie Richard Löwenthal, Peter von Oertzen, Johano Strasser und Erhard Eppler - der die westdeutsche Delegation leitete - waren harte Kritiker des Marxismus-Leninismus und unopportunistische Individualisten. Vor allem der frühere Juso-Theoretiker Johano Strasser machte seinen SED-Kontrahenten durch bissige Polemiken das Leben schwer.

Nein, nein, das ist ganz klar: Um einen solch knallharten, kontroversen Text aufzuschreiben und den sich windenden endstalinistischen und angstschweißüberströmten ostberliner Diktatoren aus dem Kreuz zu leiern, braucht man knallharte Verhandler, ideologisch weit entfernte, lupenreine Demokraten und innerlich weit, weit vom Kommunismus behauste Denker! Wohl auch deshalb kommt in dem ganzen Papier das Wort "Menschenrechte" auch nur am Rande vor - und wenn, dann ausschließlich im Rahmen von unverbindlichen Zustandsbeschreibungen, die nichts einforderten, und etwa so klangen:

Sozialdemokraten und Kommunisten berufen sich beide auf das humanistische Erbe Europas. Beide nehmen für sich in Anspruch, dieses Erbe weiterzutragen, den Interessen der arbeitenden Menschen verpflichtet zu sein, Demokratie und Menschenrechte zu verwirklichen.

Heissa, so war es wohl. Und zumindest die Insassen von Bautzen und Hohenschönhausen in Grundzügen werden es bestätigen können...

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