Montag, 3. März 2008

Über die ostdeutsche Kunst des kommunikativen Beschweigens

Eine starke Analyse der Kommunikationsmechanismen auf dem Gebiet der früheren DDR, aufgehängt an den Reaktionen auf die Äußerungen von Ministerpräsident Böhmer zu Kindstötungen, hat heute WELT online veröffentlicht. Dort schreibt Alexander Wendt unter anderem:

"Der Komplex besteht aus drei Teilen: Den Kadern der PDS, den DDR-geschulten Redakteuren der einstigen SED-Bezirksblätter und der ostdeutschen Rundfunkanstalten, und den Lehrern. Er besteht aus denen, die die Wirklichkeitswahrnehmung definieren. Sie sind meist noch jung, Mitte vierzig, sie entstammen einem in der DDR politisch geformten Milieu, sie sprechen eine kodifizierte Sprache, die eine Erkennung untereinander leicht macht. Sie bilden die ostdeutsche Elite, die Zugang zu Rednerpulten besitzt, zu Computern der Zeitungen und zu Mikrofonen. Sie regieren überall mit – auch in den anderen Parteien in Ostdeutschland, die sich bei heiklen Debattten an diesem Komplex ausrichten wie zu seligen Zeiten der „Nationalen Front“.
Und vor allem beherrscht diese Elite die Kunst des kommunikativen Beschweigens, zementiert in Sprachregelungen und Sprachverboten, die niemand ohne exemplarische Bestrafung bricht. Und eine dieser Regelungen lautet: Die hohe Zahl der Kindermorde im Osten darf nichts, nichts, nichts mit der DDR zu tun haben. Nichts mit der Abtreibungspraxis, nichts mit der Säkularisierung, nichts mit dem Diskussionsverbot in der DDR (das ja offenbar bis heute fortwirkt). Genau so, wie der ostdeutsche Alltagshass gegen die winzige Gruppe von Ausländern nie, niemals, unter keinen Umständen aus der DDR herrühren darf. An beidem darf nur die Arbeitslosigkeit schuld sein, also der Kapitalismus, also der Westen."

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