Freitag, 16. März 2007

Über die Meinungsfreiheit im Jahr 2007

Denn trotz der Einschränkungen, die das deutsche Strafgesetzbuch vorsieht und die auch die Bundesjustizministerin nun in einen europäischen Rahmenbeschluss schreiben will, ist festzuhalten: Äußerungen über geschichtliche Vorgänge sind keine Fälle für das Strafrecht, es sei denn, man will bestimmte Themen tabuisieren oder eine Denkart vorschreiben. Beides steht zur freiheitlichen Demokratie in Widerspruch. Wer allgemein bekannte historische Tatsachen leugnet, macht sich ohnehin lächerlich. Nachfragen muss aber jeder dürfen. Nichts darf per Gesetz außer Streit gestellt werden. Historische Fakten stehen fest. Aber was wir von ihnen wissen und wie wir sie beurteilen, ist einem ständigen Wandel unterworfen. Insofern sind sowohl der wegen seines Beharrens auf der Existenz des türkischen Völkermords an den Armeniern zeitweise in der Türkei verfolgte Orhan Pamuk als auch der britische Historiker David Irving, der in Wien wegen Holocaust-Leugnung in Haft war, Opfer eines falschen Gesinnungsstrafrechts.

Dass auch das Verharmlosen von historischem Unrecht strafbar ist, führt zu absurden Ergebnissen. So wurde ein Landesvorsitzender des Bundes der Vertriebenen angeklagt, weil er öffentlich darauf hingewiesen hatte, dass die Zahl der Auschwitz-Opfer, wie er in Polen erfahren habe, deutlich niedriger sei als früher angenommen. Tatsächlich entsprach seine Zahl in etwa dem Stand der neuesten Forschung. Doch nach Ansicht des Bundesgerichtshofs kann auch ein solches "bewusstes Infragestellen der Opferzahlen von Auschwitz" strafbar sein.

Zudem ist eine pflichtgemäße Verteidigung solcher Angeklagter kaum noch möglich, ohne dass sich der Anwalt selbst strafbar macht. So wird neben der Meinungsfreiheit eine weitere grundlegende rechtsstaatliche Errungenschaft aus politischen Gründen über Bord gekippt.
(Reinhard Müller, FAZ, 12. März 2007)

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